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Mit einem Freund habe ich folgendes Bild besprochen: ein Baum hat während des Winters keine andere Wahl als der Kälte jeden Tag, und den ganzen Tag lang, standzuhalten oder zu verenden. Jede Sekunde lebt dieser Baum im Winter und trotzt der Kälte – unter Qualen, wenn wir ein solcher Baum wären; monatelang entblößt stünden wir dort, nach Sonne lechzend und unsere vor Leben sprießen die Baumkrone vermissend.
Wir dagegen schützen uns gegen die Kälte, vielleicht zu oft und zu viel. Was für eine konstruktive Kraft die Kälte sein kann, findet man bei Wim Hof heraus – und plötzlich ist die gnadenlose Kälte ein nützliches Geschenk, die eisige Donau fließende Gesundheit und der eigene Körper voller Überraschungen.
Ein Gedanke, der mich beschäftigt und den ich versuche in meinem kommenden Roman Netzlos zu beantworten, ist: wird Nihilismus zur normalen Weltanschauung in einer Welt, in der Technologie all unsere Bedürfnisse deckt? Und welche Folgen hat das?
Auf mich wirkt das Weltgeschehen zugespitzt, auf der Kippe, ungewiss; die Zukunft scheint so schwarz wie schön – und stellt jeden Tag, mit seinem Potenzial, in Frage. Mein Traum des Künstlers, der von seiner Kunst leben kann, wird immer wieder von Sinnhaftigkeit penetriert und fordert mich zur Stellungnahme: gibt es Wichtigeres, Notwendigeres, das mit den eigenen Fähigkeiten getan werden kann?
Ich finde, dass diese Frage nur gestellt werden kann, wenn man Glück genug hat in einer friedvollen, luxuriösen Gesellschaft zu leben, die den Einzelnen mit Freiheit beschenken.

Wien, 2020

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