Jahresrückblick, Jahresrückblick, Jahresvorblick – Moment. Zwei Rückblicke, und nur ein Vorblick? Das ist ja nicht symmetrisch. Einen Vorblick machen wir noch. Gut. Zwei Rückschritte, zwei Schritte vor – und ZACK! sind wir auf derselben Stelle gelandet – Nein! Natürlich nicht. Verändert sich ja was, man verändert sich. Wie war das mit Hesses Siddhartha und diesem Flussgleichnis? Kannst einen Stein in einen Fluss werfen, dann wieder, und wieder, und immer ist der Fluss anders, augenblicklich anders. Dann ging es Hesse, wenn ich mich richtig erinnere, darum, dass alles in der Welt eine eigene Zeit hat (Hallo Einstein und Relativität); die letzte Wüste wird irgendwann zum Dschungel, Mensch wird Staub, Stein zu Leben, alles zu nichts und umgekehrt. Ob da man da herauslesen kann, dass Hesse Zeit in Indien verbracht hat, und zudem noch mit Carl Gustav Jung befreundet (oder therapeutisch bedingt verbunden) war?
Das nächste Zitat zu den zwei Rück- und Vorschritten kommt von Lewis Carrolls Alice im Wunderland: “Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.” Weil es die Rote Königin sagt, wird es in der Wissenschaft auch als “Red-Queen-Hypothese” verwendet – irgendwas mit Evolution, Überleben und so, aber was weiß ich. Das, auf alle Fälle, was in den Städten und Dörfern hier im Westen nicht mehr so präsent ist. Gut oder schlecht? Bäh. Hauptsache es geht weiter, nicht? Nachdem wir nicht zeitreisen können, und einfach keine Urmenschen mehr sind (die noch ungespalten von ihrem Körper, Können und den Trieben, Archetypen – um es in C. G. Jungs Worten zu sagen – waren) kann das mit dem Überleben ja auch nicht so wichtig sein. Es regelt sich doch schon! Gibt ja genug Institutionen! Und jeder weiß, was mit einer Pflanze passiert, die nicht mehr gegossen wird: ein anderer kommt und gießt sie schon! Was wäre wohl, wenn man sich selbst gießen müsste, weil das Wasser eines andern einfach nicht passt? Hm. Anstrengend. Weiter im Thema.
Es ist wohl Tradition, Jahresrückblicke und Vorsätze für das Nächste zu machen – ganz zu Ehren der größten Entdeckung der Menschheit: nein, sicher nicht Amerika und Columbus. Die Griechen nannten es Chronos, wir Deutschsprachigen Zeit. In die Vergangenheit blicken, um zu lernen, zu verstehen, zu sehen, oder auch zu romantisieren, was die früheren Menschen – wir als Ganzes – taten. In die Zukunft blicken, um wenigstens den Hauch einer Ahnung zu ergattern, wo die Reise denn hingeht! Aber da hapert’s dann ein wenig, vor allem für den normalen, deterministischen Otto von nebenan – den wir ja alle in uns haben, zum Teil, nicht? À la Démon de Laplace: (paraphrasiert) „Gib mir Position und  Momentum jedes Teilchens im Universum und ich kann alles vorhersagen und zurückverfolgen.“ Machina mundi, das große Uhrwerk, erschaffen und verlassen, vielleicht von einem Gott – hinunter in den Kaninchenbau – na, NOPE! Und wie schön, dass diese Welt nicht rein kausal ist; wie schön, dass die Zukunft lockt und spielt und überrascht und bestraft – als ob die Zukunft ein bestrafender und belohnender Vater wäre, was sehr an den Gott in der Bibel erinnert, zumindest an einen Teil von ihm. Aber ich betone es nochmal: was weiß ich? Hab die Bibel noch nicht gelesen, und diese Erkenntnis, dass Zukunft wie ein Vater ist, kommt nicht von mir, sondern wurde schön aufbereitet von Jordan B. Peterson.
Wie herrlich ist es, zu zitieren, statt selbst zu denken (Hallo Nietzsche) und wie herrlich ist es den Finger zu zeigen? Guck ma‘, die Pflanze is‘ überhaupt nich‘ gegossen! Oder wie schön die da gegossn is‘! Aber das gehört wohl zum Rück- und Vorblick, wenn man von anderen gelebt wird, statt selbst zu leben (Hallo Individuation). Das läuft falsch, und das richtig, das ist eindeutig und einfach gut, das da schlecht, nichts komplex, und alles in toten Kategorien einfach zu überblicken und Sicherheit vorgaukelnd; wie z.B. Brexit und Trump schlecht, und Nawalny und Wuhan und Corona auch, ach und die Ausgangssperre, und aber der Mensch ist ein soziales Wesen, und was ist mit der Demokratie, und dann die Proteste und der Handel und die Gastronomie, die Gastronomie!, die Kunst, und die Kultur verwelkt und erst der Polizistenwahnsinn und das mit Belarus (d.h. Weißrussland) und dieses Glaubenssterben, lachhafte Religiösitätslethargie und die Attentate, die Attentate in Paris und Wien und was in Afrika und Asien und und und und … und tja. Die kleinen Augen, die die großen Probleme erblicken, statt eigene Blüten zu pflücken und sich das Böse auszusaugen – denn morgen geht die Sonne auf, und auch wieder unter (Hallo no na ned), Winter wird Sommer, was lebt stirbt und dazwischen fließt “bloß” der Chronos, die Zeit: wusch und weg und blupp und weg, wie ein Stein, den man in einen Fluss wirft. Da sind wir ja wieder hier. Ja. So ist es wohl. Hust, hust. Jahja. Und in diesem Sinne, der ewigen Wiederkehr, oder auch in einem anderen Sinne – eine frohe Zeit. Ihr hört oder seht mich im neuen Jahr!



Ach, und wen’s interessiert: Vier Gedichte, die ich zusammengefasst „Ecce Homo“ betitelt habe, erscheinen im Frühjahr 2021 in der Wettberwerbsanthologie der Gruppe 48 “Suchbewegungen. Junge Literatur”, die der Kulturmaschinen Verlag herausbringt.
Netzlos-Trilogie Teil 1 ist in der Überarbeitung zur dritten Fassung. Und nachdem ich bisher sehr unrealistische “Todeslinien” für dieses Kunstwerk hatte (dachte Ende letzten Jahres, dass ich zu dieser Zeit schon auf Verlagssuche wäre – haha!), wage ich es ein weiteres Mal, doch geschickt gröber gesagt: Frühling 2021 sollte die dritte Fassung stehen, Lektoren gibt’s schon einige, und dann Verlagssuche.

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